Gabi Deckers
Aachen 2013 Text von Dr. Dagmar Preising (D)
Am Anfang war das Rot
Rot ist dominant und zieht sich durch fast das gesamte Oeuvre der Malerin Gabi Deckers. Es wird gegen andere Farben gesetzt, wie das blau oder das grün. Rot wirkt plastisch, blau zieht den Betrachter in die Tiefe. Durch das Nebeneinander der Farben auf der Leinwand entstehen lebendige Farbräume, in die häufig mit feinen schwarzen Linien Figurenkonturen eingezeichnet werden. Figur und Raum verschmelzen miteinander zu abstrahierten Gebilden.
Aachen 2010 Text von Dr. Gudrun Liegl-Raditschnigg (D)
Malerei zwischen Raum und Figur
Mit diesem programmatischen Satz umschreibt die Künstlerin das zentrale Anliegen ihres bildnerischen Arbeitens: die Beziehung zwischen Figur und Raum.
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Mit diesem
programmatischen Satz umschreibt die Künstlerin das zentrale Anliegen ihres
bildnerischen Arbeitens: die Beziehung zwischen Figur und Raum.
Ihre Zielsetzung besteht dabei im wesentlichen darin, die jeweilige Figur in ihr Umfeld ganz ohne linearperspektivische Mittel, allein durch die Ausdruckskraft der raumgreifenden Farbbewegung einzubinden.
Vor diesem Hintergrund kann Gabi Deckers als entschiedene Koloristin bezeichnet werden, die sich in die Gemeinschaft jener Maler einreiht, die die Farbe zum zentralen Bildmittel bestimmen.
Die Aufgabe, die sie sich stellt, die Einbindung der Figur in den Raum allein durch das Mittel der Farbe, bedeutet bildnerisch eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Von Malergrößen wie Cézanne, der sich diese Aufgabe in seinem Spätwerk stellte, wissen wir, wie hart er an deren Umsetzung arbeitete. Bei ihm fand diese Zielsetzung schließlich ihren genialen Ausdruck in den „Großen Badenden”, die er mittels seiner fein abgestuften Farbtonfolgen gleichzeitig plastisch modellierte wie auch fest in ihr landschaftliches Umfeld einband.
Eine Figur in einen stimmigen Bezug zu ihrem bildräumlichen Umfeld zu setzen und dies rein aus dem Mittel der Farbe zu bewerkstelligen, erfordert einen sehr differenzierten Umgang mit diesem elementaren Bildmittel. Die Plastizität der Figur und ihre atmosphärische Einbindung in den Umraum kann nur mit einer fein abgestuften, nuancenreichen Farbgebung funktionieren. Denn, wie bereits erwähnt, verzichtet Gabi Deckers auf die Mittel der linearperspektivischen Gestaltung wie auch auf die Helldunkel-Modellierung mit den Nichtfarben Schwarz und Weiß. Diese könnten als aufeinander abgestimmte, bildnerisch untergeordnete Hilfsmittel ebenfalls die beschriebene Aufgabe der Einbindung der Figur in den Umraum übernehmen, was sie in der Geschichte der Malerei auch bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert uneingeschränkt taten.
Die besondere Beschaffenheit der Farbgestaltung in ihrer Funktion als Mittler zwischen Raum und Figur in den Werken von Gabi Deckers soll im folgenden anhand einiger Beispiele konkreter in den Blick genommen werden.
Zunächst jedoch noch ein Gedanke zur zweiten Hauptkonstante im Bildgefüge der Künstlerin: dem Raum.
Die Kategorie des Raums stellt nicht nur im Bereich sämtlicher Gattungen der Kunst eine bleibende Konstante dar, sondern erweist sich für unser menschliches Dasein allgemein als nicht hintergehbare Dimension. Alles, was wir erfahren, ist grundlegend und existentiell an die Erfahrung des Raums gebunden. Diese Urerfahrung des räumlich gebundenen In-der-Welt-Seins auszuloten und Gestalt zu verleihen, darin besteht eine wesentliche Intention von Gabi Deckers und ein Großteil ihrer Bildfindungen ist vor dem Hintergrund dieses bildnerischen Antriebs zu sehen. Mit Blick auf ihr bisheriges Schaffen ist es dabei interessant nachzuvollziehen, in welchen Abschnitten und Ausprägungen sich die Figur-Raumbeziehung entwickelt. Derzeit lassen sich drei Hauptvarianten derselben ausmachen: die Figur vor Farbfeldern, Figuren innerhalb von Farbräumen sowie Figuren innerhalb eines Weißgrundes. Alle drei Varianten sind das Ergebnis einer Entwicklung, bei der sich sowohl die Auffassung der Figur wie auch ihres Umfeldes über verschiedene Stadien verändert hat. Am Anfang steht die körperhaft plastisch ausgearbeitete Figur, häufig noch mit einer Reihe individualisierender Details ausgestattet. Ein erzählerischer Gesamtzusammenhang gibt die Figur in spezifischer Körperhaltung in einer räumlichen Umgebung wieder, die ebenfalls einige näher bestimmende Details erahnen lässt.
Ein Beispiel für diese Form der Figur-Raumauffassung stellt der „Rückenakt rot” von 2008 dar. Das Bild zeigt eine sitzende Frau, die ihren Rücken dem Betrachter nicht frontal, sondern schräg zuwendet, so dass ihr Kopf mit aufgesteckter Frisur im verlorenen Profil erscheint. Ihr ab der Hüfte weit ausschwingendes rotes Kleid lässt beinahe die Hälfte des Rückens frei. Einzelheiten des Innenraums, in dem sich die Frau befindet, sind nur angedeutet. So scheint sie auf einem Bett zu sitzen. Fenster sowie Bilder an den Wänden lassen sich erahnen. Der Betrachter nimmt die Szene wahr, als wäre sie eine Spiegelung auf einer Glasscheibe. In transparenter Malweise überlagern und durchdringen sich verschiedene Elemente. Das weit ausschwingende rote Kleid lässt sich in der unteren Zone auch als vom übrigen Bereich nuanciert abgestuftes Farbfeld lesen, in dem der Reflex eines Fensters aufscheint. Weitere Reflexe in ebenfalls geometrischer Form, jedoch ohne gegenständlichen Anklang, schweben unter anderem über Rücken und Haar der Frau. Die Haut des Rückens, der Schultern und Oberarme nimmt in ihrer fein abgestuften Modellierung sämtliche Farbtöne der Umgebung auf. Auch im – sich nur an wenigen Stellen in der Eigenfarbe zu erkennen gebendem – schwarzen Haar finden sich zahlreiche Farblichtreflexe der Umgebung. In seiner malerisch bewegten Struktur und Formgebung entwickelt es eine auffällige Eigendynamik und Ausdruckskraft. Seine plastische Fülle scheint den Kopf der Frau zu beschweren und zu bewirken, dass sie ihn leicht senkt. Dies wiederum mag dem Betrachter ein „in schwere Gedanken versunken Sein” der Frau zu suggerieren.
Kennzeichnend für die hier gegebene Figur-Raum-Beziehung ist, dass die Figur durch die beschriebenen, sich überlagernden Reflexzonen eng mit dem sie umgebenden Raum verwoben ist. Figur-Binnenraum und Außenraum sind nicht klar voneinander getrennt. Dies wird unterstützt durch den offenen Umriss der Figur, der in allen Bereichen, besonders aber in der Zone des Kleides unten einen Farbaustausch zwischen dem Inneren der Figur und ihrer Umgebung zulässt. Ebenso lassen sich keine genaueren Distanzen zwischen den einzelnen Elementen wie beispielsweise Figur und hintere Wand ausmachen. Dreidimensionalität und Räumlichkeit erwächst hier überwiegend aus der vielschichtigen Überlagerung einzelner Farbflächen. Allein der perspektivisch ins Bild gesetzte, leicht gedrehte Oberkörper der Frau bricht aus diesem Flächengefüge aus. Mit dieser raumgreifenden und raumbildenden Bewegung zieht er die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich und bildet den Fokus des Bildgeschehens.
Von der in „Rückenakt rot” beschriebenen Figur-Raumbeziehung aus lässt sich die Entwicklung zweier Hauptvarianten dieser Bildkonzeption verfolgen. Bereits im selben Jahr erfährt sowohl die Figur- wie die Raumauffassung eine Wandlung. Die Figuren werden insgesamt einer Stilisierung unterzogen. Sie verlieren ihre individualisierenden Züge und erscheinen in flächiger Silhouette. Eine Gruppe mit lebhaft arabeskem Umriss lehnt sich, wie die Titel ankündigen, an die Figurenauffassung von Matisse an. Hier zeigt sich eine Spannbreite unterschiedlicher Bewegungsformen und Haltungen. Eine zweite Gruppe konzentriert sich auf die Figur als durchweg stehende, häufig überlängt wirkende, schmale Silhouette. Mit ihrer noch weiter intensivierten Stilisierung lässt diese Gruppe eine Bezugnahme auf die Figurauffassung Giacomettis erkennen. Diese Phase der experimentierenden Auseinandersetzung mit zwei sehr spezifischen Varianten abstrahierender Figurenauffassung der neueren Kunstgeschichte erweist sich als Umbruchphase innerhalb der Deutung des Figur Raumverhältnisses in den Arbeiten von Gabi Deckers. Im Zuge ihrer Stilisierung erhalten die Figuren nun eine fest umrissene Kontur, mit der sie sich klar von ihrer Umgebung abgrenzen. Auch die Bezugsgröße der Figuren – der Raum – erfährt eine Neudefinition. Er verliert nun jeden Anklang an ein perspektivisch wahrgenommenes Gefüge. Innerräumliche Bezüge und Begrenzungen werden aufgegeben. Das jeweilige Umfeld der Figuren erscheint dagegen wie der Ausschnitt aus einem offenen Raumkontinuum. Die Silhouetten der Figuren befinden sich entweder vor Farbfeldern, die in ihrem Farbauftrag die Fläche betonen und den Raumeindruck minimieren. Oder sie erscheinen in einem diffus nuancierten Farbraum mit nicht eindeutig bestimmbarer Tiefendimension.
Es finden sich auch Übergangsformen zwischen den beiden letzt genannten Varianten der Figur-Raumbeziehung. Zu ihnen zählt „Figur im Farbenfeld” von 2009. Eine schwarze, äußerst schmale Figurensilhouette steht aufrecht im Bildzentrum. Die Umgebung, in der sie sich befindet, besteht aus einer Anzahl unterschiedlich geformter Farbfelder, die sich in transparentem Farbauftrag durchdringen. Durch die gegebenen Überlagerungen entsteht ein homochromer Farbraum, der in fein abgestuften, warmen Nuancen zwischen hell leuchtendem Orange- bis hin zu Dunkelrot changiert. Das Werk gehört in die Gruppe jener Bildkonzeptionen Gabi Deckers, in denen die Farbfelder ihre Flächigkeit, die sie etwa in der Gruppe der „Hommage an Matisse”- Bilder noch aufwiesen, aufgeben. Wie flüchtige Spiegelungen lassen sich drei schmale, die Bildebene senkrecht unterteilende Flächenbahnen erkennen. Ihre Helligkeit nimmt von links nach rechts zu. Diese drei Bahnen werden durchdrungen und gleichzeitig verklammert von einem Motiv, das im Werk Gabi Deckers immer wieder auftaucht: ein monumental wirkender Scheibenring, über dessen Öffnung eine Kreisscheibe schwebt. Dieses Objekt mit nicht klar bestimmbaren Dimensionen steht im Spannungsfeld zu den beschriebenen Flächenbahnen und erzeugt in seiner dreidimensionalen Präsenz einen enormen Raumeindruck. Im Zentrum dieses kosmisch anmutenden Ring-Scheiben-Elements steht die Figur, die ihrerseits als Klammer zwischen den beiden Teilen desselben wirkt. In der unteren Bildzone lässt sich schwach ein horizontal verlaufendes Farbfeld in dunklerem Rotton erahnen. Es erzeugt den Eindruck einer Horizontlinie, die in etwa zwischen den beiden Teilen des Ring- Scheiben-Motivs verläuft. Gleichzeitig dient sie der Figur als Standfläche. In dieser Sichtweise kann die dünne schwarze Linie, in die die Figur nach unten hin ausläuft, als Spiegelung der Gestalt gelesen werden. Innerhalb ihrer unteren Zone erscheint neben der Figurensilhouette eine leuchtend rote Kreisscheibe in flächig geschlossenem Farbauftrag. Sie korrespondiert mit der schwarzen Figur, die sich ebenfalls in flächiger Abgeschlossenheit und mit klaren Konturen vom sie umgebenden Umraum abgrenzt. Kennzeichnend für das hier gegebene Figur-Raumverhältnis ist das intensive Spannungsverhältnis zwischen flächiger und räumlicher Lesart der Umgebung, in die die Figur wie in ein Koordinatensystem eingebunden ist. In ihrer Farblosigkeit wirkt sie wie ein schmaler, dunkler Schatten und weist, dem Einfluss des übermächtigen Farbraums ausgesetzt, eine offenbar nur flüchtige Präsenz auf.
Obwohl verschiedene Figur-Raumkonzeptionen im Werk Gabi Deckers nebeneinander existieren, erscheint eine weitere Variante als logische Folge der zuletzt beschriebenen Bildkonzeption.
Als Beispiel soll hier „Sanftes Lila!” von 2010 angesprochen werden. War mit Blick auf die Umgebung der Figuren eine Entwicklung vom flächigen Farbfeld zum malerisch aufgelösten, diffusen Farbraum mit unbestimmbarer Tiefendimension zu beobachten, so erfährt nun – zeitlich verzögert – auch die Figurenauffassung eine Wandlung von klarer Abgeschlossenheit zur offeneren und durchlässigen Kontur. Dabei erscheint es beinahe so, als würde der Farbraum in seiner Dynamik die Geschlossenheit der Figur aufbrechen, so dass sie nun in Kommunikation mit ihrer Umgebung treten kann. In „Sanftes Lila!” erscheint auf schmal hochformatigem Bildgrund eine kaum noch erkennbare, in ihren Umrissen stark aufgelöste, violette Figurensilhouette. Sie ist von einem blass violetten, transparenten Schleier umgeben, der wie eine Aura wirkt. Diese durchlässige Membrane, in die die Figur eingehüllt ist, bildet eine Übergangszone zum sie umgebenden Weißgrund, der mit seinen unbestimmbaren Dimensionen an einen „Nebelraum” erinnert.
Die bisher aufgezeigten unterschiedlichen Entwicklungstendenzen gelangen im Gemälde „Oranges Fest!” von 2010 zu einer ausdrucksstarken Synthese. Diese bildet gleichzeitig eine Neudefinition des Figur-Raumverhältnisses. Das hochformatige Gemälde zeigt eine Figurengruppe von vier Frauen. Womit bereits die erste Neuerung angesprochen ist: Wiesen die früheren Bildkonzeptionen in der Regel eine vereinzelte Figur auf, erscheint nun eine Gruppe. Desweiteren gewinnen die Figuren wieder etwas an Körperlichkeit, wenn es sich auch nach wie vor um eine abstrahierende, stilisierend überlängte Körperhaftigkeit handelt. Bleiben die Gesichter im Unbestimmten, wirken individualisierend allein die differenzierten Hauttöne sowie die unterschiedlichen Farbtöne der Kleider. Bezeichnend für die gegebene Figur- Raumbeziehung ist, dass die Figuren in einem lebhaften Austausch mit ihrer Umgebung stehen. Es entsteht sogar der Eindruck, als wären sie geradezu verwachsen mit dem Raum, in dem sie erscheinen. Dies ist besonders bei der Figur rechts der Fall, deren Binnenfarbe von der Hüfte nach unten hin fast vollständig in die Farbe ihrer Umgebung übergeht. Die Figuren sind weder durch eine strenge Kontur von ihrem Umfeld abgegrenzt, noch verschmelzen sie, wie im zuletzt beschriebenen Werk, unter Aufgabe ihrer Begrenzungen mit ihrem räumlichen Umfeld. Vielmehr verfügen sie über eine belebte, teilweise deutlich hervortretende und dann wieder zurückweichende, offene und farbintensive Kontur. Dadurch treten sie nicht nur in Kontakt mit dem sie umgebenden Farbraum, sondern stehen auch untereinander in Beziehung. In der Differenzierung ihrer jeweiligen Haltung, Binnenfarbigkeit und Konturbetonung erscheinen die Figuren ungeachtet jeder Stilisierung daher auch als individuelle Persönlichkeiten. Die fein nuancierte Farbskala reicht von warmen Orange-Rot-Tönen bis hin zu kühlem Blau und evoziert über ihre starken Kontraste eine dynamische Raumwirkung. Die Einbindung der Figuren in ihr Umfeld sowie ihre Kommunikation untereinander wird zum Großteil über die wohldurchdachte Farbgebung bewirkt. So finden sich Akzente der Binnenfarben der Figuren auch in ihrer Umgebung. Besonders auffällig und für die Verbindung der Figuren untereinander von Bedeutung ist, dass die drei Frauen links in ihren Konturen die Binnenfarbe der Figur rechts – ein kühles Blau – aufnehmen. Betont wird dieses ausdrucksstarke Detail dadurch, dass ihre äußere Begrenzung in einem starken Farbkontrast zu ihrer eigenen warm getönten Binnenfarbe steht. Ohne diese hervorstechende, leuchtend blaue Kontur würden sie sich – anders als die Figur rechts – wenig von ihrer Umgebung abheben und weitestgehend mit dem sie umgebenden Farbraum verschmelzen.
Im „Orangen Fest!” vollzieht der Betrachter die Gestaltwerdung der Figur aus der Farbmaterie heraus nach. Über ihre spezifische Bildgestaltung gelingt es Gabi Deckers hier folgende optisch begründete Einsicht zu vermitteln: Figur und Raum werden von derselben Energiequelle gespeist und bestehen aus derselben Materie. Daher sind sie substantiell miteinander verwoben und ebenso wandelbar wie dauerhaft aufeinander bezogen.
Aachen, im November 2010